Interview Huang Xingxian

Fragen und Antworten mit Meister Huang Xingxian

(Deutsche Version von Christian Rose, Michael Jagdt und Lesley Strickland)

1. Frage: Gibt es verschiedene Schulen oder Sekten im Taiji?

Antwort: Tai Ji verkörpert eine umfassende Wissenssammlung. Es wurde entwickelt und weiter gereicht von unseren gelehrten Vorfahren und bietet sowohl rätselhafte Prinzipien als auch profunde philosophische Lehren. Die Bewegungen des Tai Ji wie auch seine Prinzipien beruhen auf wissenschaftlichen Grundlagen. Unsere Vorfahren entwickelten diese Kunst, um die menschliche Gesundheit zu verbessern, Krankheit abzuwehren, den Alterungsprozess zu verlangsamen, Langlebigkeit zu erreichen und sich selbst zu verteidigen. All dies dient der Menschheit und Gesellschaft. Gute Charakter-Bildung wird gefördert. Ein Anhänger, der das Dao (oder die Philosophie als Lebensweg) des Tai Ji in sich aufgenommen hat, würde zu einer ordentliche Regierung und universellem Frieden beitragen. Tai Ji ist keine Kampfkunst, die Angeberei und Raufereien dient. Ein Tai Ji Vertreter müsste die Prinzipien und die Philosophie des Tai Ji verstehen. Niemand sollte von diesen Prinzipien und der Philosophie abweichen. Die Bewegungen können entwickelt und verändert werden, aber die Prinzipien bleiben ewig. Die äußere Form mag sich von Person zu Person unterscheiden, aber die Prinzipien sind einheitlich und unveränderlich. Darum gibt es keinen Grund für eine Unterscheidung nach Schulen. Vielmehr sollte der Geist einer einzigen Familie vorherrschen. Allgemeines Wohlergehen sollte bei dieser Kunst Vorrang vor persönlichem Interesse haben. Eine offene Haltung sollte sich ergeben, immer im Gedenken an den Geist des Gründers und der Vorfahren, die die Verbreitung der Philosophie des Tai Ji in der Welt und die Verbesserung der Gesundheit der Menschheit anstrebten.

2. Frage: Wie sollten wir Taiji üben, um Genauigkeit zu erreichen?

Antwort: Die Kluft zwischen genauer und nicht-genauer Errungenschaft ist weit. Erinnere die Worte des alten Meisters Wang Tsung Yueh, dass der Körper natürlich und vertikal im Gleichgewicht sein soll, ohne die Prinzipien des Entspannt-Seins, Rund-Seins sowie des Gewahr-Seins der verschiedenen Teile des Körpers zu vergessen. Während der Übung einer Bewegungsabfolge muss man sorgsam sein, aufmerksam oder wachsam, achtsam und man muss fühlen wo man sich bewegt. Andernfalls gibt es Form ohne Inhalt und Irreführung von Menschen. Um Genauigkeit zu erreichen, müssen zusätzlich zu den Prinzipien des Tai Ji die richtigen Übungsmethoden befolgt werden. Ein guter Meister ist erforderlich - gepaart mit dem eigenen beharrlichen Forschen. Die Kunst muss Schritt für Schritt erlernt werden mit der Notwendigkeit, zunächst ein solides Fundament zu entwickeln, bevor man zur nächsten Stufe fortschreitet. Persönliche Erfordernisse sind ebenfalls bedeutsam. Man muss entschlossen, überzeugt, beharrlich und motiviert sein. Ein gesichertes Einkommen in einer normalen Umgebung verbunden mit zielstrebigem, konstantem Lernen und Üben sowie einem klaren und tiefen Verständnis der Prinzipien – all dies wird zur Erreichung von Genauigkeit führen. Dies steht im Gegensatz zu jenen, die schnell lernen wollen, die sich mit den äußeren Formen beschäftigen und nur sporadisch lernen und üben. Diese Leute hoffen, zuerst zu lernen und anschließend korrigiert zu werden, ohne zu begreifen, dass dies schlechter ist, als wenn man einen Neuling von Anfang an unterrichtet. Andere nehmen die Tai Ji-Prinzipien nicht so genau oder zu oberflächlich und verwechseln die Kunst mit einer bloßen Übung, einem Drill oder einem Tanz. All dies hat zwar Form doch keinen Inhalt. Man muss seinen Körper wie eine perfekte Maschine verstehen, wo ein falsches Ersatzteil den gesamten Betrieb der Maschine beeinträchtigt. Der Gründer des Tai Ji sagte: "Das Dao zu erreichen, ist wichtig. Wer mein Dao nicht erlernt, ist nicht mein Schüler." Darum sind auch Ehrlichkeit und Aufrichtigkeit wichtig oder ein guter moralischer Charakter.

3. Frage: Es gibt verschiedene Formen von Taiji - sind deren Prinzipien unterschiedlich?

Antwort: Der Gründer erschuf diese Kunst. Doch mit den Jahren haben sich die Formen des Tai Ji vervielfältigt. Manche haben 24 Grund-Bewegungen während andere 37 haben. Manche haben Abfolgen mit 64 und andere haben 72 Bewegungen, wieder andere haben andere haben 108 oder gar 124 Bilder. Es gibt lange und kurze Abfolgen. Bewegungen wurden groß und ausladend oder auch klein und kompakt ausgeübt. Manche betonten einen hohen Stand, andere entschieden sich für einen tiefen Stand. Manche üben langsam, andere in einem raschen Tempo. All diese Abweichungen sind von Menschen gemacht. Dahingegen ist wichtig, dass die Prinzipien dieselben bleiben. Verschiedene Meister mit unterschiedlichen Temperamenten haben über die Jahrhunderte hinweg die grundlegenden Prinzipien verfolgt. Ihr Engagement galt der fortwährenden Erforschung und Übung. Sie überprüften und verbesserten die Kunst bis das höchste Ziel erreicht war, wo die Form formlos wird, Gliedmaßen keine Rolle mehr spielen, rohe Kraft nicht mehr existiert und die Steifheit der vollen Entspannung gewichen ist. Die Bildung des Charakters hat die fortgeschrittene Stufe der „Selbst-losigkeit“ und Widerstandslosigkeit erreicht, so dass der gesamte Körper genutzt wird und Hände nicht mehr als Hände eingesetzt werden. Jugendlichkeit und Langlebigkeit sind erreicht. Es ist nicht einfach, korrekte Formen zu meistern, in dem Sinne, dass das Qi und die Prinzipien der Kunst innerlich harmonisiert sind. Die Harmonisierung muss ebenso zwischen dem oberen, mittleren und unteren Teilen sowie zwischen dem linken und rechten Teil des Körpers erreicht werden. Obwohl das Meistern der korrekten Form für sich genommen schon schwer ist, ist dies jedoch noch relativ einfach im Vergleich zur Erreichung von Geschick in der Kunst. Dies liegt daran, dass im Training oder Üben eine Anzahl normalerweise nicht wahrnehmbarer Teile des Körpers in Bezug auf Aspekte wie Schnelligkeit, Timing, Rhythmus und Balance sehr schwer unter Kontrolle zu bekommen sind. Aus diesem Grund, ist Kunstfertigkeit im Tai Ji schwer zu erreichen. Doch wie der Gründer sagt: "Einen Teil der Kunst zu verstehen, würde bedeuten, dass einem sämtliche Teile des Ganzen einleuchten. Dann werden alle Schulen und Sekten eins."

4. Frage: Ist es besser Taiji öfter oder weniger oft zu üben?

Antwort: Es gibt keine Extreme im Tai Ji. Die Essenz liegt in der Trainingsmethode. Wenn die Methode nicht korrekt ist, dann unterscheidet es sich nicht von herkömmlichen Trainingsweisen oder Drills, die viel Zeit beanspruchen aber relativ wenig bewirken. Es ist also keine Frage des mehr oder weniger häufigen Übens, sondern vielmehr eine Frage des richtigen Übens. Das bedeutet: Das zentrale Gleichgewicht muss vertikal erhalten werden. Jede Bewegung muss so diszipliniert sein, dass die Haltung vertikal balanciert ist. Die Prinzipien bleiben unveränderlich: In einer Biegung liegt Geradlinigkeit und umgekehrt. Es muss konstant gelernt und geübt werden, um die Prinzipien und die weniger offensichtlichen Punkte zu verstehen. Die Meisterung dieser Prinzipien wird Geschick auf natürliche Weise hervorbringen. Aus diesem Grund ist es also keine Frage des zu viel oder zu wenig Übens, sondern vielmehr, ob man auf die richtige Art übt.

5. Frage: Ist es korrekt, die Kunst schnell oder langsam zu üben?

Antwort: Die Erde rotiert mit einer bestimmten, gleichmäßigen Geschwindigkeit. Ebenso sollte Tai Ji weder zu langsam noch zu schnell, sondern in angenehmem Tempo geübt werden. Der menschliche Körper muss natürlich bewegt werden, andernfalls würde er geschwächt. Wenn das Üben zu schnell ist, wird die Atmung in Mitleidenschaft gezogen, was zu unregelmäßiger Atmung und Atemlosigkeit führt sowie das Herz zu schnell schlagen lässt. Wenn das Üben zu langsam ist, werden die Gliedmaßen und Gelenke steif. Das Qi wird blockiert und stagniert in manchen Bereichen: Intention oder Bewusstsein werden verwendet, aber das Qi fließt nicht. Innere Kraft und Qi müssen synchronisiert werden. Innerlich gibt es die Harmonie von Libido, Energie, Qi und Geist, während äußerlich der Verstand, das Bewusstsein (oder die Intention) und Körper ebenso harmonisiert werden und in diesem Zuge werden sowohl die inneren als auch die äußeren Harmonien synchronisiert. Die Muskeln müssen entspannt sein und alle Teile des Körpers sind auf natürliche Art ohne Anspannung. Somit ist es nicht möglich zu sagen, dass schnelles Üben korrekt ist oder, dass langsames Üben korrekt ist, da dies beides von der Messlatte oder dem Niveau der Fähigkeiten des jeweils Übenden abhängt. Man muss solange üben, bis der gesamte Körper entspannt und angenehm balanciert ist. Ist die äußere und innere Synchronisation erst einmal erreicht, ist die Frage des langsamen oder schnellen Übens unwichtig. In diesem Zustand hat man das Gefühl, als wäre der Oberkörper wie das Ziehen von Wolken und der Unterkörper wie das Fließen von Wasser. Das Bewusstsein ist ununterbrochen und mit der Bewegung harmonisiert. Alle Teile des Körpers sind natürlich und verbunden. Dann ist "Schnell" oder "Langsam" keine Frage mehr.

6.Frage: Ist es richtig, in den Taiji-Bewegungsabfolgen eher hohe oder niedrigere Stände einzunehmen?

Antwort: Die Kunst des Taiji unterscheidet nicht zwischen hohen und niedrigen Ständen, sie ruht vielmehr auf der Idee der vier "Ausgewogenheiten" oder Gleichgewichte:

(i) Ausgewogenheit im Ausmaß des Bildes oder der Bewegung. So müssen zum Beispiel während der Bewegung beide Seiten des Körpers eine ausgewogene räumliche Verlagerung erfahren.

(ii) Akkuratheit oder Präzision, die gleichzeitig in allen Teilen des Körpers erreicht wird.

(iii) Körperliches Gleichgewicht während der Bewegung oder Drehung.

(iv) Beständigkeit, insbesondere während der Bewegung.

 

Äußere und innere Ausgewogenheit oder Harmonie müssen dort kultiviert werden, wo es keine Schräglage (Neigung) in der inneren Achse des Körpers gibt. Wenn die Kraft aus dem hinteren Bein abgerufen wird, dann wird sich das gebeugte hintere Knie leicht aufwärts bewegen oder strecken, doch die Höhe des Körpers bleibt unverändert. Dies geschieht deshalb, weil sich Bewusstsein (oder Intention) und Qi im Zentrum "schließen" bzw. verdichten anstatt aufzusteigen, während das gebeugte Knie benutzt wird, dies angemessen auszugleichen.

Bewusstsein wird benutzt, die Muskeln in die Entspannung zu führen. Gelenke, Muskeln und Sehnen müssen dann gelöst sein, entspannt und “sperrangel-„weit geöffnet, aber immer noch verbunden. Der Körper ist dann aufrecht und komfortabel. Bewusstsein wird ebenfalls benutzt, um die Taiji-Prinzipien zu Teilen des Körpers "hinzubewegen". Sobald die „vier Ausgewogenheiten und acht Beständigkeiten" erreicht sind, beantwortet sich die Frage nach hohen oder niedrigen Ständen dann individuell.

7. Frage: Wie kann man voll und leer im Hinblick auf linke und rechte oder obere und untere Teile des Körpers unterscheiden?

Antwort: Die Muskeln, das Skelett und die Nerven sind Teil des Körper-Systems. Während des Übens der Bewegungen ist das Einsetzen des Bewusstseins zum Sinken und Entspannen des Körpers am wichtigsten. Der Schwerpunkt wird bewegt, während die Aufrichtung der inneren Achse des Körpers erhalten bleibt. Es ist wichtig, sich auf Beständigkeit, Ruhe, Entspannung und das Wurzeln zu konzentrieren. Die inneren Bewegungen treiben die äußeren Bewegungen in einer fortwährenden ununterbrochenen Weise an. Die innere Kraft wird über Drehbewegungen erzeugt. Nach langer Zeit ist der gesamte Körper im Gleichgewicht. Wenn zwischen links und rechts unterschieden wird, ist eines davon voll und das andere leer entsprechend dem Muster der "Über-Kreuz-Ausrichtung" (cross alignment). Zum Beispiel, zusammen mit der Unterscheidung zwischen oberen und unteren Körperteilen, wenn die linke Seite des Oberkörpers voll ist, dann ist die linke Seite des Unterkörpers leer und ebenso wenn die rechte Seite des Oberkörpers voll ist, dann ist der Unterkörper auf dieser Seite leer. Dieses Muster der Über-Kreuz-Ausrichtung wird bei der Verlagerung des Schwerpunkts von einem Bein auf das andere genutzt. Dies ist vergleichbar zu den "Kreuzungen" im Nervensystem. Wenn das Qi bewegt wird, muss man deshalb voll und leer unterscheiden, den Schritt tun ohne den Körper zu bewegen, oder den Körper bewegen, ohne die Hand zu bewegen. Wenn sich beim Setzen des Schrittes der Körper bewegt, dann sind das Fülle und Leere nicht unterschieden. Wenn während der Bewegung des Körpers sich ebenfalls die Hand bewegt, dann sind die Schultern und die Hände nicht entspannt. Es ist wichtig, die Prinzipien zu befolgen, nach denen das Bewusstsein die Bewegung antreibt. Die oberen und unteren, die linken und die rechten Teile des Körpers müssen koordiniert sein. Ein runder Mühlstein mag sich bewegen, doch sein Zentrum bewegt sich nicht. All die Teile des Körpers werden zu einem System, das sich durch Leichtigkeit und Beweglichkeit auszeichnet, Rundheit und Geschmeidigkeit, gleichmäßige Atmung, im Wechsel von Öffnen und Schließen, wie das des Meeres, wo mit der Bewegung eines einzelnen Teiles sich sämtliche Teile bewegen. Die Bewegungen werden vom Bewusstsein geleitet und ordentlich geregelt wie die regelmäßigen Wellenbewegungen des Meeres.

8. Frage: Wie sollten die Bewegungen geübt werden, um sinnvoll angewendet werden zu können?

Antwort: Nimm die fünf Lockerungs- (oder Entspannungs-) Übungen zur Veranschaulichung. Diese Übungen basieren auf den Tai Ji-Prinzipien. Das Üben erfordert volle Konzentration - da jede Ablenkung die (gewünschten) Effekte vernichtet. Beherzige die drei Punkte der Unbeweglichkeit:

- der Kopf muss auf dem Körper ruhen,

- die Hände dürfen sich nicht "von alleine" bewegen und

- die Fußsohlen müssen ruhig im Boden wurzeln.

Bewusstsein (oder Intention) führt das Qi mit sich. Schritte werden getan ohne dass der Körper beeinflusst oder bewegt wird. Drehbewegungen gehen von Taille und Hüften aus, wobei die Bewegungen der Hände durch die Taille und Hüften angetrieben werden, gemäß dem Prinzip, dass alle Drehbewegungen von der Taille ausgehen. Die Prinzipien müssen verstanden werden und keine Bewegung ist von den Prinzipien getrennt. Sobald man es innerlich macht, ist man äußerlich ebenfalls "damit durch".

Wenn man erst einmal völlig entspannt ist, kann man sich den Gegebenheiten entsprechend anpassen und somit eine begegnende Kraft neutralisieren. Man hat dann das Stadium der "Selbst-Losigkeit" erreicht, wo der gesamte Körper zur Waffe wird und Hände nicht mehr als Hände benutzt werden. Wenn man nicht in der Lage ist, seine Bewegungen sinnvoll einzusetzen, dann hat man die Grundlagen der fünf Entspannungsübungen noch nicht verstanden. Wenn man diese wesentlichen Dinge noch nicht gemeistert hat, macht es keinen Sinn über die Anwendung der Bewegungen zu sprechen.

9. Frage: Worin liegt der Sinn, den Bauchraum zu entspannen und das Steißbein sinken zu lassen?

Antwort: Qi wird im Dan Tien gesammelt, soweit das Bewusstsein dazu eingesetzt wird, es bis zu diesem Punkt senken. Von hier aus sollte das Qi durch den gesamten Körper zirkulieren. Wenn das Qi nur im Dan Tien verbleibt, dann entsteht im Bauchraum eine Empfindung als wäre man vollgestopft. Nur wenn das Qi durch den gesamten Körper zirkuliert, wird der Bauchraum entspannt und biegsam sein. Mit der Zeit wird der Bauch einen Rückprall- oder Feder-Effekt aufweisen, und das Qi würde dann im gesamten Körper zirkulieren. Qi kann in der Wirbelsäule eingeschlossen oder absorbiert werden. Das Lied der Dreizehn Haltungen sagt: "Wenn der Bauchraum vollständig entspannt ist, wird das Qi steigen.“ Also ist das ausschließliche Versammeln von Qi im Bauchraum zu vermeiden, sonst bläht es einfach nur. Das Steißbein sinken zu lassen bedeutet, dass das Gesäß nicht herausstehen soll, während man gleichzeitig sicherstellt, dass die Hüftgelenke nicht nach vorne rutschen. Dies muss kombiniert werden mit dem Entspannen des Bauchraums und beide Anforderungen müssen gleichzeitig erfüllt sein. Andernfalls gibt es keine Verwurzelung solange die Taille steif ist, was eine vertikale Disbalance oder ein Ungleichgewicht herbeiführt. Es ist wichtig, die Aufrichtung der zentralen inneren Achse des Körpers beizubehalten, um das zentrale Gleichgewicht zu erreichen. Man kann folgenden kleinen Test durchführen, um zu überprüfen, ob all dies vollständig durchgeführt wurde: Nimm einen Daumen, drücke ihn in den Bauch und ziehe den Daumen plötzlich zurück. Dabei sollte ein rückprall-artiger, federnder Effekt entstehen. Zur selben Zeit sollte sich die Gesäß-Muskulatur auf Druck weich anfühlen.

10. Frage: Was ist der wahre Geist des Taiji?

Antwort: Gute und berühmte Meister unterrichten ein und das Selbe, aber Schüler lernen unterschiedlich. Dies liegt daran, dass Schüler sich in natürlicher Begabung und physischer Ausstattung unterscheiden. Die echte Aneignung der Kunst [des Tai Ji] besteht nicht nur darin, die Formen zu meisten, sondern in der Meisterschaft der Philosophie und der Prinzipien. Der Lernende muss ein rechtschaffener Mensch sein, der die Kunst erfolgreich erlernt, geübt und verstanden hat. Er wendet diese Prinzipien und die Philosophie in seinem täglichen Leben an. Er wird nicht unfairen Vorteil suchen oder eigennützig handeln. Er hat sich dem Tai Ji mit ganzem Herzen verschrieben. Er teilt den Geist des Gründers in seinem Streben nach körperlicher und geistiger Gesundheit für die Menschheit. Dies wäre der wahre Tai Ji Geist.

11. Frage: Wie oft am Tag müssen wir die Bewegungsfolgen üben?

Antwort: Das wichtigste Prinzip liegt im rechten Maß. Zunächst einmal muss die Übungs-Technik stimmen. Manche Leute sagen, man müsse die gesamte Bewegungsfolge zehn Mal am Tag durchlaufen, wobei ein Durchlauf etwa 25 Minuten dauert. Dies fokussiert nur auf die Quantität und verschwendet Qi und Energie. Es läuft den grundlegenden Prinzipien des Tai Ji zuwider und lässt einen nur erfolgreich schwitzen und Gewicht verlieren. Dies ist nicht von Vorteil für die Entwicklung der inneren Kraft, der inneren Organe oder insgesamt für das Körperinnere. Großmeister Cheng Man-Ching sagte, "Ich übe täglich die Mobilisation der inneren Kraft und [des] Qi mithilfe der 37 Bewegungen. Ein Bewegungsdurchlauf dauert nur 7 Minuten." Zu viel oder zu wenig zu üben hängt davon ab, ob korrekt geübt wird oder nicht. Schüler, die sich meine Erfahrung zu Nutze machen und meinen Übungstechniken folgen, werden ermutigt, morgens und abends etwa 5 Minuten eine bestimmte Bewegung oder ein bestimmtes Bild (jedes in zwei Teile unterteilt) wieder und wieder zu üben. Jene Schüler, die so üben haben eine gute Aussicht auf Erfolg.

12. Frage: Einige Taiji-Schüler lernen und üben Taiji seit mehreren Jahren und sind immer noch instabil. Warum ist das so?

Antwort: Viele Schüler verwenden die falsche Lern- und Übungsmethode. Schüler müssen damit beginnen, das Dao oder die Philosophie zu verstehen, dann die Prinzipien, dann die korrekte Methode zu verwenden und schließlich das Bemühen einzusetzen. Er muss die Beziehung des Menschen zu seiner Umgebung oder dem Universum verstehen und die Methode des Qi beim Üben nutzen. Er muss demütig und unablässig in seinem Üben sein. Langsam wird daraus Verwurzelung erwachsen und die Übungsmethode wird verstanden. Verstehe die Prinzipien und sei der weniger offensichtlichen und unbemerkbaren Aspekte gewahr im langsamen Erreichen der Fertigkeiten. Das Wurzeln und das Verfügen über innere Kraft kann niemals äußerlich beobachtet werden. Sie können durch die korrekte Methode erreicht werden. Im Üben der Bewegung und Entwickeln der inneren Kraft müssen die Gelenke locker und dennoch verbunden sein. Der gesamte Körper ist entspannt und kann nicht leicht von einem Gegner umgestoßen werden. Fülle wird unterschieden von Leere. Ziele darauf ab, so flexibel und geschmeidig wie eine Schlange zu sein, deren Schwanz zu Hilfe kommt, wenn der Kopf angegriffen wird und umgekehrt, oder dessen Schwanz und Kopf zu Hilfe kommen, wenn die Mitte angegriffen wird. Achte auf das Bewusstsein (oder die Intention), dann kann Gelassenheit und Biegsamkeit erreicht werden. Es ist einfacher, einen 200 Katies (asiatisches Gewichtsmaß) schweren Eisenstab zu heben, als eine 100 Katies schwere Kette. Dies illustriert die Prinzipien von völlig entspannten Gelenken. Schüler müssen ebenfalls das Anwenden von Yin und Yang in den Bewegungen und Push Hands-Übungen verstehen. Die Prinzipien von Yin und Yang sind Bestandteil vom Tai Ji, welches das gesamte Universum umfasst: Alle Bewegungen, ganz gleich ob unterschieden nach Ober- unter Unterkörper, rechts und links, vorne und hinten, innen und außen, dürfen nicht von den Prinzipien von Voll und Leer abweichen. Bewegung und Ruhe wechseln fortwährend. Ebenso weicht das Yin nicht von Yang und umgekehrt. Wenn Yang sich bewegt, bewegt sich auch Yin und umgekehrt. Diese Prinzipien müssen beim Üben der Bewegungsabfolge verstanden werden. Der Körper und der Charakter werden zusammen trainiert, so wie der Erwerb des Dao und der Kunst zusammen erfolgt. Das Dao wird dem Yin zugeordnet während die Kunst oder Kunstfertigkeit Yang ist. Yang entsteht aus Yin sobald Yins Vollendung erreicht ist. Entspannung, Ruhe und Verwurzelung werden zu Yin Komponenten. Neutralisierung von Kraft bildet das grundlegende Fundament, auf dem keine Muskelkraft mehr benötigt wird. Die Ruhe ist die eines Berges. Keine Veränderung ist sichtbar, doch er ist zu vielen Veränderungen in der Lage. Der Gründer sagte: "Das Dao ist die Basis, die Kunst ist eine Konsequenz.“ Darum also muss man das Dao erreichen, in dem man lernt keinen Widerstand zu leisten, denn nur dann wird der Körper Folgsamkeit lernen. Im Angriff und in der Verteidigung muss man die Methode verstehen und dann Leere und Stille erreichen. Nur dann wird die Verteidigung solide sein. Angriff wird ebenso erfolgreich sein, da man dann dabei auf natürliche Weise entspannt ist. Bei der Übung des Push Hands muss man Widerstandlosigkeit und Anhaftungsfähigkeit erlernen. Wenn man diese Haftungsfähigkeit erreicht hat, kann man die Fähigkeit erlernen, Kraft zu neutralisieren. Mit entsprechenden Reserven wird die Fähigkeit zu neutralisieren mit einem unwillkürlichen Einsatz der inneren Kraft angewendet.

13. Frage: Was ist die richtige Haltung eines Schülers gegenüber seinem Lehrer?

Antwort: Heutzutage ist die Wissenschaft sehr fortgeschritten und beeinflusst sämtliche Aspekte des menschlichen Strebens Tag für Tag. Dies verursacht Stress und heftigen Wettbewerb im Geschäftsleben, was auf den höchsten Geist (spirit) eine durchschlagende Wirkung hat. Dies ist ein weit verbreitetes Übel. Darum ist Tai Ji als eine sehr alte Kunstform populär und ein weit verbreitetes Übungssystem. Es hat keine Geheimnisse. Es behandelt alle gleich, da es keinen der Schüler benachteiligt. Aber Schüler begehen oft Fehler beim Üben dieser Kunst.

 

Folgende Gesichtspunkte sollte ein Schüler stets bedenken:

 

(i) Respektiere den Lehrer und akzeptiere die Philosophie oder das Dao der Kunst.

(ii) Sei ehrlich und suche keinen unfairen Vorteil.

(iii) Sei gewissenhaft und ernsthaft, denke, beobachte und fühle oder sei aufmerksam während des Übens.

(iv) Mach einen Schritt nach dem anderen.

(v) Sei demütig und übe stetig.

(vi) Folge all den zuvor genannten Prinzipien auch, wenn Du alleine übst.